Veranstaltungen zu "Angeworben - Eingewandert - Abgeschoben"

Übersicht

21.10.1996
Eröffnungsveranstaltung
"In deinen Augen scharen sich gebrochene Jahre ..." - ein Abend mit Platz für Lyrik und Diskussion
Der Lyriker Nevfel Cumart liest aus seinen Gedichtbänden und referiert über Migrationsliteratur in der Bundesrepublik.

30.10.1996
"Wider die Fiktion der Voraussetzungslosigkeit" - Migration in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert. Ein Überblick
Die Gruppe homo migrans in der Geschichtswerkstatt Göttingen e.V.

6.11.1996
Nation und Ethnizität - Inkorporierung und egalitärer Multikulturalismus. Soziologische Überlegungen zur begrifflichen Erfassung und konzeptionellen Gestaltung von Einwanderungsgesellschaften
Veit-Michael Bader (Soziologe, Amsterdam)

13.11.1996
Geschichte der Sinti und Roma in Göttingen. Ein lokalgeschichtliches Beispiel
Göttinger Beratungsstelle für Sinti und Roma und das Flüchtlingsberatungszentrum Göttingen

20.11.1996
Kanak Sprak. Mißtöne vom Rand der Gesellschaft. Eine Lesung
Der Literat Feridun Zaimoglu ,übersetzt' den underground-code aus ,Kanakistan'.

27.11.1996
Im Niemandsland zwischen Menschenrechten und nationalstaatlichem Souveränitätsanspruch: Menschen ohne Aufenthaltsstatus in der Bundesrepublik
Norbert Cyrus (Ethnologe und Mitarbeiter des Polnischen Sozialrats e.V., Berlin)

4.12.1996
Ein (Welt-)Markt - viele Welten. Migration, Rassismus und die Globalisierung
Georg Lutz (Informationszentrum Dritte Welt, Freiburg)

18.12.1996
Rechtssicherheit oder juristische Willkür. Die Geschichte des AusländerInnenrechtes in Deutschland
Johannes Glembek (Jurist und Politologe, Institut fächerübergreifenden Studierens und Forschens, Trier)

8.1.1997
"Hip identity geht Hops." Türkische Rapper in der Bundesrepublik: Ein bißchen Ghetto, Rassismus, Türken-Power, Identitätsgedudel, Sexismus und vieles mehr
Imran Ayata (Die Beute, Frankfurt)

15.1.1997
"Venite a lavorare con la Volkswagen - kommt zum Arbeiten ins Volkswagenwerk." Der ,Gastarbeiterboom' in Wolfsburg, 1962-1973/74
Anne von Oswald (Historikerin, Berlin)

22.1.1997
"Frauen-Handeln". Das Geschäft mit den Frauen versus Frauenmigration
Behshid Najafi und Susanne Stolzke (agisra, Arbeitsgemeinschaft gegen internationale sexuelle und rassistische Ausbeutung, Köln)

29.1.1997
"Wie aus JugoslawInnen BosnierInnen, KroatInnen ... wurden." Beispiele aus Göttingen
VertreterInnen aus dem ehemaligen Jugoslawienhaus Göttingen

5.2.1997
Flucht und deutsche Asylpolitik. Von der Krise des Asylrechts zur Perfektionierung der Zugangsverhinderung
Bettina Höfling-Semnar (Politologin, Frankfurt)

12.2.1997
Die ,unsichtbare Mauer': Die BRD-Ostgrenze - aktuelle Situation und soziale Auswirkungen
Helmut Dietrich (Forschungsgesellschaft Flucht und Migration, Berlin)

Genauere Beschreibung

Montag, 21.10.1996, Eröffnungsveranstaltung

"In deinen Augen scharen sich gebrochene Jahre ..." - ein Abend mit Platz für Lyrik und Diskussion.

Der Lyriker Nevfel Cumart liest aus seinen Gedichtbänden und referiert über Migrationsliteratur in der Bundesrepublik.

Nevfel Cumart wurde 1964 als Sohn türkischer Eltern in Lingenfeld (Rheinland-Pfalz) geboren und wuchs in Stade (Niedersachsen) auf. Nach einer Zimmermannslehre studierte er zwischen 1986 und 1993 Turkologie, Arabistik und Islamkunde in Bamberg. Neben zahlreichen Veröffentlichungen von Lyrik und Kurzprosa hat er auch eine rege übersetzer- und Referententätigkeit vorzuweisen. Lese- und Vortragsreisen führten ihn ins Ausland, u.a. nach England, Irland und in die Türkei. Nevfel Cumart lebt in Bamberg.

In eine Schublade hat er sich nie stecken lassen. Welche hätte man auch aufziehen sollen? Die der deutschen Lyrik, die der türkischen Poesie oder vielleicht die der MigrantInnenliteratur? Nevfel Cumart, zugleich Deutscher und Türke, ist ein Wanderer zwischen den Welten, und dies spiegelt sich auch in seiner Lyrik wieder. Er schreibt in deutscher Sprache, hat jedoch eine eigene Sprache gefunden, die stark von der Bildhaftigkeit seiner zweiten Muttersprache geprägt ist. Seine Gedichte berichten von den brennenden Häusern in Mölln und Solingen, der Behandlung von Asylbewerbern auf dem Frankfurter Flughafen, über Umweltzerstörung, Krieg, aber auch über die Trennung von der Geliebten oder einfach über die Schönheit eines Aufenthalts am Atlantik.

Der für sein literarisches Werk bereits mehrmals ausgezeichnete Lyriker (u.a. Bayrischer Föderungspreis für Literatur 1995) versucht immer wieder, den "literarischen Elfenbeinturm" zu verlassen. Cumart geht bei seinen Lesereisen ganz bewußt auf andere Menschen zu und sucht mit ihnen das Gespräch über seine Gedichte.

Daß sich Lyrik nur schwer vermitteln läßt, hat Nevfel Cumart schon mehr als einmal widerlegt. Mit seiner eigenständigen Lyrik hat er sich inzwischen einen festen Platz in der deutschsprachigen Literatur erkämpft.

Pressespiegel:

"Türkische Elemente spiegeln sich im Gebrauch der Bilder in Cumarts Dichtung ebenso wie die Tradition der deutschsprachigen Moderne in vielen Bezügen. Politisch wie Erich Fried oder verschlüsselt wie Paul Celan, verstiegen bildhaft wie Yasar Kemal und Nazim Hikmet." Osnabrücker Sonntagsblatt

"Anstelle der Zerissenheit, zwischen zwei Kulturen zu stehen, ist bei Nevfel Cumart die Zuversicht entstanden, daß beide Kulturen eine Bereicherung darstellen können. Aus diesen beiden Kulturen hat Cumart auch seinen individuellen Stil geschöpft: die Synthese aus türkischer Tradition und deutschsprachiger Moderne."die tageszeitung

 

Gedichte:

zweite Generation

auf unseren
schultern
die bürde
zweier welten
unser geist
ein schmelztiegel
im flammenmeer
tausendjähriger kulturen
sind wir
freunde der sonne
und der nacht

ohne dich
die wände
wurden bleich
kaum daß du gingst
hüllten sich in schweigen
ohne dich
ich rief brot sie verstanden Stein
auch die sonne ergraute
ohne dich
verbarg ihr gesicht hinter einem schleier
ihr schloß sich an der mond
sträubte sich zu strahlen
ohne dich
ich rief wasser sie verstanden stein
kalt die nacht finster der tag
ohne dich
scheint nicht zu vergehen
die zeit
schlaftrunken die sterne
wie seiltänzer am himmel
ohne dich
geliebte
ist selbst das paradies wie eine Verbannung

 

 

30.10.1996, Die Gruppe homo migrans in der Geschichtswerkstatt Göttingen: "Wider die Fiktion der Voraussetzungslosigkeit" - Migration in Deutschland im 19. und 20 Jahrhundert. Ein Überblick

Bevor die Veranstaltung in soziologische, kulturelle oder juristische Tiefen und Untiefen von Migrationsprozessen eintaucht, möchten wir einen historischen überblick über die jüngere Migrationsgeschichte in "Deutschland" geben. Der Blick reicht vom migrationsgeschichtlichen "Scheitelpunkt" am Ende des 19. Jahrhunderts - an dem eine Auswanderungstradition aus Deutschland in eine nunmehr einhundert Jahre währende Einwanderungstradition umschlägt - bis zum sogenannten Anwerbestopp 1973. Stationen hierbei: die deutsch-polnische Wanderungsgeschichte (z.B. die "Ruhrpolen"), die Binnenwanderungen durch Verstädterungsprozesse, "Umvolkungsmaßnahmen" und Zwangsarbeit im Faschismus, "Flüchtlinge" und "Vertriebene" in der frühen Bundesrepublik, Geschichte der "GastarbeiterInnen". Der Gruppenvortrag wird die "Fiktion der Voraussetzungslosigkeit" zerstören, d.h. den Glauben der bundesdeutschen Gesellschaft - aber auch ihrer Vorläufergesellschaften - zum ersten Mal mit einem Einwanderungsprozeß in einer im übrigen "ethnisch" homogenen Bevölkerung konfrontiert zu sein.

6.11.1996, Veit-Michael Bader: Nation und Ethnizität - Inkorporierung und egalitärer Multikulturalismus. Soziologische überlegungen zur begrifflichen Erfassung und konzeptionellen Gestaltung von Einwanderungsgesellschaften

Mit "Nation" und "Ethnizität" werden zwei grundlegende Begriffe aus der Diskussion um das Phänomen "Migration" und Statuszuschreibungen in Einwanderungsgesellschaften definiert und kritisch hinterfragt. Nach diesen Begriffsklärungen, die auch für die weiteren Vorträge der Reihe von Bedeutung sind, hinterfragt Bader migrationssoziologische Prozesse und Konzepte. In diesem zweiten Teil stellt er einen soziologischen Bezugsrahmen für den komplexen Prozeß der Inkorporierung (Inklusion und Integration usw.) vor, der es erlaubt, alle Facetten dieses Prozesses genau zu beschreiben, historisch und komparativ bedingte Typen der Inkorporierung zu entwerfen und zur Erklärung der jeweiligen Muster beizutragen. Der abschließende dritte Teil behandelt normative Probleme der Inkorporierung. Wie können "Gleichheit" und "Anerkennung von Differenz" bei der Inkorporierung von ethnischen und nationalen Minderheiten verbunden werden? Besteht die Möglichkeit zur Realisierung eines "egalitären Multikulturalismus"?

13.11.1996, Göttinger Beratungsstelle für Sinti und Roma und Flüchtlingsberatungszentrum Göttingen: Geschichte der Sinti und Roma in Göttingen. Ein lokalgeschichtliches Beispiel

ACHTUNG: 20.00 Uhr im Saal der St. Jacobi-Gemeinde, Jacobikirchhof 2

Im ersten Teil der Veranstaltung - getragen durch VertreterInnen der Göttinger Beratungsstelle für Sinti und Roma - soll der Geschichte der Sinti in der Stadt Göttingen nachgespürt werden. Woher kamen sie, welches waren und sind ihre traditionellen oder zugewiesenen Wohn- und Lebensbedingungen in Göttingen? Einer sich zunehmend "etablierenden" Gruppe von alteingesessenen Sinti in Göttingen stehen - z.T in direkter Konkurrenz - seit Anfang der 90er Jahre neu zuwandernde Roma aus Jugoslawien und Rumänien gegenüber. über die neue Situation und die sich daraus ergebenden Konflikte berichten im zweiten Teil des Vortrages die VertreterInnen des Flüchtlingsberatungszentrums.

20.11.1996, Feridun Zaimoglu: Kanak Sprak. Mißtöne vom Rand der Gesellschaft. Eine Lesung

Der Literat Feridun Zaimoglu ,übersetzt' den underground-code aus ,Kanakistan'.

Zaimoglu hat die wilden und radikalen authentischen Bekenntnisse junger Männer und Frauen türkischer Abstammung aus der "Kanak Sprach", einer Mischung aus heimatlichen Dialekten und Straßendeutsch, in all ihrer Härte und Poesie in ein lesbares oder besser: hörbares Deutsch übertragen. Entstanden ist ein schriller, anarchischer Kanon der Mißtöne aus dem Kosmos von Kanakistan, einem unbekannten Landstrich am Rande der deutschen Gesellschaft.

Feridun Zaimoglu, 1964 in Bolu (Türkei) geboren, lebt seit 27 Jahren mit kurzen Unterbrechungen in Deutschland, die letzten elf Jahre in Kiel. Er studierte Kunst und Humanmedizin und ist Mitbegründer der türkischen Literaturzeitschrift ARGOS.

Zaimoglu rechnet mit dem Märchen von der Multikulturalität ab. Denn der Kanake taugt in diesem Falle nur als schillerndes Mitglied im großen Zoo der Ethnien, darf teilnehmend beobachtet und bestaunt werden. "Türkensprecher" gestalten bunte Begleitprogramme für den Gang durch den Multikulti-Zoo, wo das Kebab-Gehege neben dem Anden-Musikpavillon plaziert wird. Statt dessen "übersetzt" Zaimoglu uns unverständliche Texte.

Eine Kostprobe: Der Kanke sagt:"Haßhand teilt gerne aus, bricht sich aber viele Knochen". Die übersetzung gibt's im Rahmen des Apex-Festprogramms am 20. November um 20 Uhr.

27.11.1996, Norbert Cyrus: Im Niemandsland zwischen Menschenrechten und nationalstaatlichem Souveränitätsanspruch: Menschen ohne Aufenthaltsstatus in der Bundesrepublik

Menschen ohne Aufenthaltsstatus sind zu einem festen Bestandteil der Gesellschaft mit Zuwanderung geworden. Weltweit sollen 30 Millionen Menschen ohne Aufenthaltsstatus leben. Vor dem Hintergrund der Entstehung einer "nichtregistrierten Unterschicht" (Engbersen) weltweit und auch in der Bundesrepublik Deutschland ist eine Diskussion über den gesellschaftlichen Umgang mit statuslosen Menschen notwendig, die den Zielkonflikt von nationalstaatlichem Anspruch auf Kontrolle von Zuwanderung und Zusammensetzung auf der einen Seite und Wahrnehmung menschenrechtlicher Standards auf der anderen benennt und problematisiert.

4.12.1996, Georg Lutz: Ein (Welt-)Markt - viele Welten. Migration, Rassismus und die Globalisierung

Die Debatte zu Migration und Weltmarkt kommt nicht nur hierzulande über den nationalen Tellerrand nicht hinaus. Entweder werden MirgantInnen als Problem definiert, daß je nach ökonomischer Situation oder politischer Grundhaltung reguliert werden bzw. verschwinden muß, oder sie werden als reine Opfer betrachtet. Im Vortrag von Georg Lutz steht zunächst die ideologisch aufgeschäumte Globalisierungsdebatte (,mein Standort') im Vordergrund. Sie gilt es zu knacken, um die Frage, was ist alt und was neu an der Globalisierung des Weltmarktes und seiner Sachzwänge, beantworten zu können. In einem zweiten Schritt gilt, es den heutigen Welt(-arbeits-)markt und seine neuen Migrationslinien zu beleuchten. Dabei soll der vorherrschende Diskurs über Migrationsgründe in Frage gestellt werden. Im Widerspruch zu herkömmlichen Thesen kommt es beispielsweise oft gerade dann zu Migration, wenn die ökonomische Entwicklung einen rasanten Verlauf nimmt. Am Beispiel von Flüchtlings- und Migrationspolitik wird deutlich, wie wichtig das Nachdenken über eine neue transnationale Perspektive der Linken ist, die sich nicht nur auf moralisches Argumentieren verläßt.

18.12.1996, Johannes Glembek: Rechtssicherheit oder juristische Willkür. Die Geschichte des AusländerInnenrechtes in Deutschland

Das AusländerInnenrecht definiert das "Eigene" und das "Fremde". Ein differenziertes rechtliches Instrumentarium - selbst für Insider kaum zu durchschauen - manifestiert den staatlichen Rassismus. Johannes Glembeck legt die ideologischen, rechtsgeschichtlichen und rechtspolitischen Wurzeln dieses Systems frei. Ausgangspunkt ist dabei die Erfindung und Konstitution des deutschen Nationalismus zum Ende des 18. bzw. zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Daran anknüpfend wird die Geschichte des AusländerInnenrechtes in Deutschland vom Kaiserreich bis heute dargestellt und analysiert. Glembek betrachtet dabei insbesondere das AusländerInnenrecht der Weimarer Republik. Ein Vergleich zwischen dem bundesdeutschen AusländerInnenrecht - das eher an das faschistische Fremdenpolizeirecht anknüpft - und dem DDR-AusländerInnenrecht beschließt den Vortrag.

8.1.1997, Imran Ayata: "Hip identity geht Hops." Türkische Rapper in der Bundesrepublik: Ein bißchen Ghetto, Rassismus, Türken-Power, Identitätsgedudel, Sexismus und vieles mehr

HipHop in Deutschland ist eine Domäne ausländischer Jugendlicher, die sich selbst lieber Kanaken nennen. Besonders türkische Kids beziehen sich positiv auf Rap-Musik, in der sie nicht zuletzt die Möglichkeit sehen, auf ihre Situation in Deutschland aufmerksam zu machen. Rap ist ihre Artikulationsform. Daß einige HipHop-Bands sich dabei nicht selten auf ihre "türkische Identität" beziehen, antisemitisch daherkommen, das Ghetto-Leben idealisieren und ihre Raps mit sexistischen Aussagen unterlegen, führte in Deutschland in linken Publikationen zu kontroversen Debatten. Alles nationalistisch durchgeknallte Jungs? Neue Subkultur? Die Bandbreite der Reaktionen auf den Erfolg von Cartel beispielsweise geht von einem Abfeiern der Band als Vertreter einer neuen Subkultur bis hin zur Weigerung von Djs, Cartel aufzulegen. Der Vortrag von Imran Ayata stellt einige Aspekte dieser HipHop-Projekte in Deutschland vor. Weil es keinen Sinn macht, ausschließlich über gute Musik zu reden, gibt es auch "Türken-Musik" zu hören.

15.1.1997, Anne von Oswald: "Venite a lavorare con la Volkswagen - kommt zum Arbeiten ins Volkswagenwerk." Der ,Gastarbeiterboom' in Wolfsburg, 1962-1973/74

Die quellengestützte historische Analyse der Geschichte der bundesdeutschen Arbeitsmigration läuft gerade erst an. Eine der ersten derartigen Studien hat die Ausländerbeschäftigung beim VW-Werk in Wolfsburg zum Gegenstand. Gestützt auf bislang unzugängliche Quellen, z.B. der VW-Personalabteilung, arbeitet Anne von Oswald eine Sozialgeschichte der - vor allem italienischen - Arbeitsmigration heraus. überraschendes wird sichtbar: der lange Arm des Vatikans oder die bewußte Errichtung einer "ethnisch" differenzierten Betriebsgemeinschaft in der "ära Nordhoff". Im Rahmen einer mikrohistorischen Betriebs- und Lokalanalyse (Wolfsburg, die "nördlichste italienische Stadt") wird ein bislang meist abstrakt makrosoziologisch analysierter Migrationsprozeß (MigrantInnen reduziert auf eine "industrielle Reservearmee") auf die (empirischen) "Füße gestellt".

22.1.1997, Behshid Najafi und Susanne Stolzke: "Frauen-Handeln". Das Geschäft mit den Frauen versus Frauenmigration

Im Vortrag wird die rechtliche und soziale Situation der HeiratsmigrantInnen einerseits und der ProstitutionsmigrantInnen andererseits diskutiert. Diese beiden Themen, Ausdruck des gesellschaftlichen Sexismus und Rassismus, werden in den Medien unter "Frauenhandel" und "sex and crime" sehr aufreißerisch dargestellt. Die Arbeitsgemeinschaft gegen internationale sexuelle und rassistische Ausbeutung e.V. (agisra) versucht, dem Klischee "die Frau als Ware" zu widersprechen: Die Frau ist auch handelndes Subjekt ... Aus der Sicht von agisra läßt sich ihre Situation sowohl durch das Geschäft mit den Frauen als auch durch die Migration der Frauen charakterisieren. Wir können es kurz "Frauen-Handeln" nennen.

29.1.1997, VertreterInnen aus dem ehemaligen Jugoslawienhaus Göttingen: "Wie aus JugoslawInnen BosnierInnen, KroatInnen ... wurden." Beispiele aus Göttingen

Der Krieg im ehemaligen Jugoslawien hat auch für die in Göttingen lebenden MigrantInnen aus Ex-Jugoslawien Folgen: Menschen, die vor kurzem noch gemeinsam in Clubs und Vereinen organisiert waren, stehen sich heute als Teile der ehemaligen Kriegsparteien gegenüber. In der Veranstaltung werden Flüchtlinge aus Bosnien darüber berichten, wie die ethnischen Kategorien "bosnisch"/"kroatisch"/"serbisch" für sie an Bedeutung gewonnen und welche Auswirkungen der Krieg und der Prozeß der Ethnisierung auf sie haben.

5.2.1997, Bettina Höfling-Semnar: Flucht und deutsche Asylpolitik. Von der Krise des Asylrechts zur Perfektionierung der Zugangsverweigerung

Die globale Flüchtlingssituation muß Ausgangspunkt für Definition und Kritik nationaler Asyl- und Flüchtlingspolitik sein. Eine wirklichkeitsnahe Bezugnahme bundesdeutscher Asylpolitik auf ihre grundlegende Problemstellung aber gibt es nicht. Die Flüchtlingskonzeption des Bundesinnenministeriums etwa, die Fluchtursachen erstmalig ausdrücklich thematisiert, enthält keinerlei Ausführungen über die zukünftige Aufnahme von Flüchtlingen. Spätestens mit der Grundgesetzänderung von 1993 wurde der asylpolitische Imperativ, den "echten" Flüchtling aufnehmen zu wollen, in sein Gegenteil verkehrt. Mit der Drittstaatenregelung etwa, also der Zurückweisung von Flüchtlingen ohne Prüfung ihrer Fluchtgründe, wurde der Anspruch aufgegeben, rechtliche Instrumentarien zu entwickeln, die politische Flüchtlinge von sogenannten Wirtschaftsflüchtlingen unterscheiden können. Allein die Zugangsverhinderung und die Minimierung der Zahl sind das Ziel. Die Krise des Asylrechts aber drückt sich nicht in der Zahl der Flüchtlinge aus, sondern, so Bettina Höfling-Semnar, im Auseinanderfallen von schutzfordernden Umständen und schutzgewährenden Kriterien.

12.2.1997, Helmut Dietrich: Die ,unsichtbare Mauer': Die BRD-Ostgrenze - aktuelle Situation und soziale Auswirkungen

Anders als zur Zeit des Eisernen Vorhangs funktioniert die neue Grenzziehung um so abschreckender, je intensiver die Behörden grenzüberschreitend zusammenarbeiten. Die Initiative dafür geht meist von der deutschen Seite aus - vom BGS, den Staatsanwaltschaften etc. Die "unsichtbaren Mauern" sind auch auf illegalem Weg fast nur noch überwindbar, wenn Flüchtlinge und MigrantInnen entsprechende Geldmittel aufbringen können. Perspektiven für eine künftige Gesellschaft ohne Mauern werden daher aus sozialen "Grenzüberschreitungen" zu entwickeln sein.