Mehr über Marktfrauen...
Um 1900 war Göttingen Ackerbürger- bzw. Ackerbürgerinnenstadt, das heißt, ein Großteil der BewohnerInnen bewirtschaftete Land oder besaß Vieh. Die Landwirtschaft diente den Göttingern und Göttingerinnen als Haupt- oder Nebenerwerb. Die Äcker, Gärten und Stallungen lagen im Stadtgebiet oder in unmittelbarer Umgebung der Stadt. Im 19. Jahrhundert wurden noch täglich etwa 200 Kühe durch die Weender Straße getrieben, morgens zur Weide und abends wieder zurück in die Ställe. Der Brunnen vor dem Rathaus, der zu dieser Zeit noch nicht die heutige Form hatte, wurde dabei als Tränke verwendet.
Für die bäuerlichen Familien und alle anderen Einwohner und Einwohnerinnen Göttingens war der Markt von großer Bedeutung. Dreimal in der Woche verwandelte sich das Gebiet um das alte Rathaus, auf der Weender Straße, der Zindelstraße und um die Johanniskirche zu einem belebten Handelsplatz und Treffpunkt. Der Platz vor dem Rathaus heißt heute noch Markt und auch der Name Kornmarkt für das südliche Ende der Weender Straße zeugt von der früheren Bedeutung. Heute ist auf dem ehemaligen Marktplatz jeden Samstag ein kleiner Blumenmarkt, und auch der jährliche Weihnachtsmarkt und das sommerliche Altstadtfest finden auf diesem zentralen Platz statt. Der Gemüsemarkt ist in den siebziger Jahren im Zuge der Umstrukturierung der Innenstadt auf den Platz vor dem Jungen Theater (Am Wochenmarkt) umgezogen.
Die Hökerweiber trafen sich nachts in ihren Dörfern und machten sich auf den Fußmarsch nach Göttingen. Unterwegs schlossen sich Frauen aus anderen Dörfern an. Bis zu 30 Kilometer mußten sie die großen Kiepen auf dem Rücken tragen, bis sie nach fünf bis sechs Stunden auf dem Markt ankamen. Das Markttreiben begann erst gegen acht Uhr morgens, die begehrtesten Stellplätze waren jedoch schon um halb fünf belegt. Das hieß für die Hökerweiber, daß sie sich schon nachts zwischen elf und zwölf auf den Weg machen mußten, wenn sie einen guten Platz ergattern wollten.
Nachdem die Frauen ihre Waren aufgebaut hatten, warteten sie einige Zeit, bis der Verkauf begann. Im Laufe des Vormittags kamen dann die Frauen und Männer aus allen Schichten zum Einkaufen auf den Markt, unter ihnen auch viele Dienstmädchen, die für ihre "Herrschaften" einkauften. Bis ein Uhr dauerte der Markt, danach packten die Hökerweiber ihre unverkauften Waren zusammen. Auch Dinge, die sie für sich oder für Nachbarn und Nachbarinnen aus ihren Dörfern auf dem Markt oder in Göttingens Läden erworben hatten, verstauten sie in ihren großen Kiepen und machten sich auf den Rückweg. Bis zu zwanzig Stunden waren die Hökerweiber an den drei wöchentlichen Markttagen unterwegs. Eine harte Arbeit, die ihnen zu einer besonderen Stellung in ihren Dörfern verhalf. Sie versorgten die Dörfer mit Waren, die nicht selbst hergestellt wurden und nur in der Stadt zu bekommen waren. Aber auch Neuigkeiten brachten sie aus der Stadt in die Dörfer und umgekehrt. In Zeiten, in denen es weder Radio noch Fernsehen und nur sehr wenige Zeitungen auf dem Land gab, waren sie so wichtige Nachrichtenübermittlerinnen.